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Was kommt nach dem Auswanderungs-Honeymoon? Unsere ersten zwei Monate...

  • Autorenbild: Anke Dollase
    Anke Dollase
  • 2. Jan. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 11. Jan. 2024

"Wer sein Ziel kennt, findet den Weg."

-Laozi-



Viele Menschen träumen davon, irgendwohin auszuwandern. Von den Ferien zurückgekommen glauben sie, an diesem Ort ihr Glück zu finden. Wie viele Auswanderungen scheitern, kann ich nicht sagen, aber eines weiss ich mit Sicherheit, man nimmt sich selbst überall hin mit. Beweggründe für`s Auswandern gibt es viele. Aber woran liegt es, dass das Projekt glückt oder eben nicht, ist sehr individuell. Auch spielen Erwartungen eine grosse Rolle.

Für uns ist es bereits die zweite Auswanderung. Wir sollten ja wissen wie es geht. Ich bin vor fünfundzwanzig in die Schweiz ausgewandert, mein Mann zog zu mir in die Schweiz vor sechs Jahren. Damals war es bei mir kein so bewusster Entscheid wie heute. Es lief komplett anders ab, aber die Gefühle, die mit diesem Schritt verbunden sind, sind ähnlicher Natur und gewisse Themen wiederholen sich. Heute sind wir reifer und profitieren sicher von der ersten Erfahrung. Aber wir sind eben auch älter, was die Sache nicht einfacher macht. Ich mache mir mehr Gedanken und auch Sorgen als früher. Zum Teil sind diese Ängste berechtigt, zum Teil auch nicht. Damals habe ich mir keine Gedanken über einen Job oder eine gelingende soziale Integration gemacht. Wenn Du mehr erfahren willst über meine Auswanderung in die Schweiz, dann lies hier.


So weit so gut. Unsere Fahrt nach Schweden verläuft, wie wir es uns vorgestellt haben. Unser Zeitplan vom Packen bis zur Abreise hat funktioniert und wir sind aufgeregt, dass es nun endlich losgeht. Der magische Moment, die Fahrt über die Öresundbrücke, wird begleitet von Sonnenschein. Die Brücke hat für uns Symbolcharakter. Während der Corona-Zeit war sie unser persönliches Tor zur Freiheit und wir werden jedesmal emotional. Wir haben ein kleines rotes Schwedenhaus gemietet, dass wir nicht persönlich besichtigen konnten. Wie wird es wohl sein? Werden wir uns wohlfühlen? Thomas unser Vermieter bereitet uns einen warmen Empfang. Die kleinen Fensterlämpchen sind an, im Ofen flackert ein Feuer und im Hintergrund läuft sanfter Blues. Wir sind geflasht und erleichtert. Die ersten ungefähr drei Wochen sind für mich extrem schwierig. Das Wetter bricht am nächsten Tag zusammen, es regnet und regnet, der Himmel ist mit dunklen Wolken verhangen. Ich stehe am Fenster, kann es einfach nicht fassen und beginne zu weinen. Vor unserer Abreise waren wir mit unserem Zelt an der Cote d`Azur, drei Wochen lang stahlblauer Himmel, jeden einzelnen Tag. Das Meer war warm und die Tage einfach nur entspannt. Das hatte eigentlich lang vorhalten sollen. Und obwohl wir wussten, dass der November in Schweden hart werden wird, bricht der Himmel über mir zusammen. Ich will nach Hause, spreche ich ohne zu überlegen aus. Chris schaut mich an und nickt verständnisvoll. Auch auf diesen Moment hatten wir uns vorbereitet. Ich kannte das von meiner ersten Auswanderung und ich hatte es in meinem Job oft mit meinen Klienten besprochen. Fakt ist, solche Reaktionen sind normal. Im Fachjargon nennt man das Anpassungsstörung.



Ich google nochmals und lese, dass das eintreten kann, wenn sich Menschen an eine neue Lebenssituation nicht anpassen können. Ich habe meinen Job aufgegeben, mein Zuhause verlassen, meine Freunde zurückgelassen. Was erwarte ich denn? Nur hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde. Obwohl ich mich in dem Moment "nach Hause" wünschte, spüre ich doch tief in mir, dass ich das eigentlich gar nicht will, sondern mein zu Hause hier mit Chris in Schweden ist. Es sprudelt aus mir heraus, ich muss wieder arbeiten, ich meine richtig arbeiten, angestellt. Aber das wollte ich doch gar nicht. Ich suche nach einem Hund im Internet, der mir Gesellschaft leisten kann. Nein, das wäre für den Hund auch nicht gut, wir haben noch so viel zu erledigen, wir müssen im März nochmal in die Schweiz, unseren Haushalt auflösen. Und wir müssen umziehen im Frühjahr, denn unser jetziges Haus ist befristet. So geht das also nicht! Wir überlegen gemeinsam, was ich tun kann, damit es mir besser geht. Was hat mir am Ende nun geholfen?

Zum einen die Situation mit etwas mehr Distanz zu betrachten. Wie macht man das? Wissen in die Situation bringen, denn Wissen ist Macht. Unwissenheit macht machtlos. Erstens ist es eine normale und im Grunde eine gesunde Reaktion auf eine extreme Veränderung. Dieser Anpassungsprozess kann bis zu sechs Monaten anhalten. Es gibt verschiedene Strategien, damit fertig zu werden. Erster wichtigster Punkt ist, sich diesen Fakt bewusst zu machen und die Situation zu akzeptieren, wie sie ist. In einem zweiten Schritt habe ich mir überlegt, was ich ganz konkret tun kann, um meine Befindlichkeit zu verbessern.


Tagesstruktur: früh aufstehen und mit einer Morgenroutine beginnen. Für mich ist es Yoga. Zu fixen Zeiten arbeiten. Dazwischen Highlights schaffen, für mich ist das etwas leckeres Backen oder Kochen, draussen Spazieren gehen egal bei welchem Wetter.


Einen Plan machen: ich plane den ersten Monat und das erste Quartal. Ich setze mir Ziele, was ich bis wann erreicht haben möchte. So rücken Wünsche, wie ein Hund oder Sprachkurs nicht mehr so in weite Ferne, sondern bekommen einen Platz in der Planung, mit dem Bewusstsein, dass ein Hund kein Gegenstand ist, denn man mal so eben kaufen kann, wenn es grad passt. Ich bin überzeugt, er oder sie wird in mein Leben treten, wenn es soweit ist.


Sport: mich muss man vom Sport nicht überzeugen. Seit mehr als zehn Jahren laufe ich und mache Krafttraining. Ein Ziel muss aber her und prompt gefunden. Der Sandsjöbacka Trail in Göteborg, die 30 km Distanz. Chris ist dabei, also wird gleich ein Laufplan von mir aufgestellt. Wäre doch gelacht, wenn wir so nicht durch die dunkle Jahreszeit kommen.



Der Dezember zeigt sich von seiner besten Seite, es wird kalt und der Schnee bleibt liegen. Die Tage werden ab Ende November immer schöner. An den Sonntagen machen wir herrlich lange Läufe. In Kombination mit dem Yogaprogramm fühle ich mich fit und es läuft wie am Schnürchen. Ich habe im November begonnen für Chris` Webseite meinturnierplan.de (international: tournej.com) zu arbeiten. Was im Jahr 2009 als Hobby begann, hat sich bis heute zu einem kleinen Unternehmen entwickelt. Sein Wunsch war, den am einfachsten zu bedienenden Turnierplan der Welt zu erfinden, um so ambitionierten Trainern, Lehrern und Sportbegeisterten das Organisieren von Turnieren zu vereinfachen. Die Nutzerzahl wird immer grösser und weitet sich in Europa aus. Ich mache den Support und erledige administrative Arbeiten. Es sind zwei wichtige Stunden am Tag, denn die kleine Firma hilft uns wirtschaften und es ist nicht irgendeine Firma. Das macht mich stolz und meine Motivation ist hoch. So vergeht die Zeit wie im Flug und ich habe seitdem keine Träne mehr vergossen. Und selbst wenn!

Der Honeymoon oder der Touristenmodus, wie ich es auch nenne, war schnell vorbei, aber was kommt, hat hoffentlich Tiefe und Substanz.




 
 
 

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